Die Umstände des Krisentreffens von Walter Gropius mit Alma und Gustav Mahler in Toblach
Am 31. Juli 1910 schrieb : Nun verstehe ich den vorgestrigen Abend immer weniger. – Das Einzige – was mich glauben lassen könnte, dass Du die Adresse mit Absicht an Herrn G. Mahler geschrieben hast – ist der Passus in Deinem \heutigen/ Brief: „Hat Dein Mann noch nichts gemerkt? Schreibe mir alles aufrichtig, ich werde dich immer recht verstehen!!“ – Sonst aber müsste ich an Sinnesverwirrung denken u. ich thu es lieber (AM10).
Demnach ging am 29. Juli 1910 ein Brief in Toblach ein, der an Herrn G. Mahler adressiert war. Es muss sich dabei um den aus dem Entwurf WG22 vom 27. oder 28. Juli hervorgegangenen Brief von an gehandelt haben, der offen von den Geheimnissen unsrer Liebesnächte (AM10) berichtete. habe diesen fast gelesen (AM10). Jedenfalls löste das Schreiben eine Ehekrise in der Familie Mahler aus. Trotz Bitte vom 31. Juli, nicht nach Toblach zu kommen (AM10), verlangte , sich vor Ort rechtfertigen und das Rätsel der unzulänglichen Adressierung lösen zu dürfen (WG25 vom 1. oder 2. August 1910), zumal er fürchten musste, dass das Ehepaar Mahler Suizid begehen würde. hatte versucht, eine ursprünglich von ihr niedergeschriebene diesbezügliche Passage, Gift nehmen (AM10), unleserlich zu machen. Offenkundig nahm Bezug darauf in seinem dann bereits in Toblach verfassten Briefentwurf aus der Nacht vom 4. auf den 5. August: Gift vernichten (WG34), nachdem er am 3. August beschlossen hatte, nach Toblach aufzubrechen (WG31). Bereits zuvor hatte er mehrere Züge in Erfahrung gebracht, die nach Toblach fuhren, und sich verschiedene Nachtverbindungen von Berlin über München und Franzensfeste notiert (WG19 vom 25. Juli 1910). In Kombination mit der wahrscheinlichen Abfahrtszeit in Berlin am Abend des 3. August dürfte er am darauffolgenden Tag laut Plan um 17.20 Uhr in Toblach angekommen sein.
bezog ein Zimmer im Südbahnhotel (Umschlag von AM12 vom 5. August 1910), einen Fußmarsch entfernt vom höher gelegenen Trenkerhof (: Privatbesitz) in Altschluderbach. Die wahnsinnige Angst um Dich trieb mich her, so schrieb , und konnte sich am Abend des 4. August nur aus der Ferne, in den Tannen liegend, versichern, dass und noch am Leben waren (WG32). Im Laufe des 5. August begegnete auch Botengänger, dem Bauernjungen und entdeckte beim Friseur (WG35; vgl. , S. 871), ehe er von während eines Ausflugs mit ihrem Mann erblickt wurde: Ach – als ich Dich heute sah! – Es war das erste Mal, dass wir aus waren (AM12 vom 5. August 1910). Sie muss dabei über das Hotel von informiert worden sein. Dorthin schrieb sie die folgende Nachricht zur Übergabe an : komme sofort mit diesem Mann […]. Der Wagen wartet. Die Nachricht wurde von Gustav eigenhändig überbracht (Zusatz von in AM12), der offenkundig kurzfristig entschieden hatte, persönlich abzuholen. Einige Monate später erinnerte sich zudem an ein Treffen mit nahe des im Tal gelegenen Südbahnhotels: Deine Gesundheit könnte den schweren Anforderungen eines neuen Lebens \Du wirst manche schwere Stunde, manchen Kampf mit mir überstehen müssen, wenn Du mein wirst./ nicht standhalten u Du würdest mir vorzeitig krank, weißt Du? es sind die Worte Gustavs, als er mich unten in Toblach traf (WG100 vom 10. oder 11. November 1910). Es wurde also anlässlich des Weges gen Trenkerhof gesprochen. Dort traf man sich dann zu dritt, wobei seine Frau mit alleingelassen haben soll, damit sie sich „entscheide“ (, S. 218).
las im Original von Ein Leben mit Gustav Mahler, der nicht publizierten Vorstufe von , dass auf einem Teil der Bahnstrecke bis Landro begleitet habe. (, S. 870, Anm. 205 und S. 872. Diese mutmaßliche Einfügung zu einem Sternchen fehlt in der Kopie, , Ms. Coll 575, Box 35, mschr. pag. 191, hschr. pag. 229.) Die Bahnstrecke über das näher an den Dolomiten gelegene Landro – in Richtung Cortina – führte jedoch auf kurzem Weg nicht nach Berlin. Jedenfalls verbrachten und vor dessen Abfahrt noch gemeinsame Zeit auf einem Alpenrosenfelsen. Dies legt AM13 vom 6. August 1910 nahe: Jetzt ist es Abend geworden – der Abend eines herrlich-traurigen Tages. […] Es war so unsagbar schön auf unserm Alpenrosenfelsen – warum mussten wir dann zurück in den Alltag […]. Ich halte es für ein Glück für uns alle 3, dass Du gekommen bist!! Es ist jetzt eine solche Klarheit um mich!
reiste mit dem Mittagszug – mit dem Du mir davon fuhrst (AM27 vom 3. September 1910), am 6. August laut Plan um 12.57 Uhr von Toblach gen Franzensfeste ab (, Fahrplannummer 312). Wahrscheinlich legten und also am Vormittag des 6. August die kurze Strecke nach Landro Richtung Dolomiten und wieder nach Toblach zurück. Gemeinsame Zeit hatten beide auch im Hotelzimmer von im Südbahnhotel verbracht (AM13). Damit klärt sich auch, warum im Mittagszug davonfahren sah, nachdem er sich am Vorabend ja bereits von den Mahlers verabschiedet hatte. Das Südbahnhotel (heute Centro Culturale Grand Hotel Dobbiaco) befand sich unmittelbar gegenüber dem Bahnhof. hinterließ direkt nach dem Krisentreffen zu dritt ein kurzes Schreiben, in dem er sich für dessen Noblesse bedankte (WG36, Abschrift vom 5. August 1910), und warnte auf der Zugrückfahrt: Du darfst G. unbedingt aus Schonung nicht alles sagen, z.B. wollte ich Dich noch erinnern, nicht zu erwähnen[,] daß Du auf meinem Zimmer warst (WG37 vom 6. August 1910).
Abb.: Trenkerhof, Schauplatz der Ereignisse des 3. und 4. August 1910 (2016).